Man verliebt sich, eine hochemotionale Angelegenheit, und nach einer längeren oder kürzeren Weile, spätestens aber nach dem Zusammenziehen, lässt man sich emotional gehen, eine andere emotionale Angelegenheit. Was dann so aussieht, dass man hemmungslos dem Partner jedwede Emotion zumutet: du räumst die Küche nicht so auf, wie ich es mir vorstelle, also wüte ich und werde unflätig. Ich hatte einen schlechten Tag bei der Arbeit, komme nach Hause und lasse erst mal meinen ganzen Ärger auf den Kollegen, bei dem ich dies nicht wage, an meinem Partner aus. Und so weiter. Dir fallen sicherlich endlos viele Beispiele dafür ein, wie dein Partner oder deiner Partnerin dich mit ihren Emotionen „zumüllt“. (Ich habe es absichtlich so rum formuliert, weil es so natürlich viel leichter zu sehen ist, als wenn ich gesagt hätte: dir fallen sicherlich endlos viele Beispiele dafür ein, wie du deinen Partner oder deine Partnerin mit deinen Emotionen „zumüllst“)
Immer wieder habe ich beruflich ebenso wie privat mit Menschen zu tun, die unter den emotionalen Entgleisungen des Partners leiden. Menschen sind überrascht, wenn ich sage, dass meiner Meinung nach Beziehungen nicht dafür da sind, seinen Emotionen freien Lauf zu lassen. Wo alle doch jahrelang so hart in Therapie und Selbsterfahrungsgruppen gelernt haben, ihre Gefühle endlich auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu spüren und bei Nichterfüllung dieser ihrer Wut Ausdruck zu verleihen.
In unserer Gesellschaft sind Paarbeziehungen definiert als der Raum für Emotionen, so fangen sie an, angenehme Emotionen sind der Grund, warum wir mit diesem Menschen eine Beziehung starten. In unserer Kultur gehen wir davon aus, dass der Partner/ die Partnerin für unsere Bedürfniserfüllung zuständig ist und wenn er oder sie dieser nie verabredeten Zuständigkeit nicht nachkommt, berechtigt uns das, uns aufs allerschlechteste zu benehmen. Ich denke, dass dieser Kontext, Beziehungen seien der Platz für Emotionen und ihr Ausagieren, zu sehr vielen Problemen und Leid führt, was ohne diesen Kontext nicht gegeben wäre. Viele Menschen leiden sehr unter der Respektlosigkeit in ihrer Beziehung und meines Erachtens ist ein Grund für die Respektlosigkeit oder das Sich-emotional-gehen-lassen dieser gesellschaftliche Kontext.
Ich erlebe immer wieder Überraschung, wenn ich in Paarberatung formuliere, dass Beziehungen nicht der definierte Raum für emotionales Ausagieren sind. Wenn beispielsweise jemanden frage, auf welcher Grundlage er sich berechtigt sieht, seinen Partner oder seine Partnerin mit ihrer oder seiner Wut zu belästigen, gibt es nie eine überzeugende Antwort…